Sonntag, 24. Dezember 2017

Weihnachtsgeschichte N. Krüger 2017



-Oh, Francois, du hast gedacht, dass du gewonnen hast. Francois, du hast wirklich geglaubt, dass du dieses Mal gewonnen hast. Ein Jahr ist nun verstrichen. Ein ganzes Jahr, ohne dass du irgendetwas von mir gehört hast. Hast du mich schon vergessen? Wie könntest du mich jemals vergessen? Wie könntest du den Schwur von Montreux jemals vergessen. Nein, ich weiß du denkst an mich und du weißt ich denke an dich. Und wir wissen es voneinander. Der Schwur von Montreux. Wie könnten wir es jemals vergessen. Wie könnten wir es jemals vergessen. Niemals. Es war die Nacht in der unser Schicksal besiegelt wurde. Alles was wir haben und alles was wir nicht haben, dass ist diese Nacht schuld. Ich hasse dich, mehr als alles andere auf dieser Welt. Nur mich, mich hasse ich noch mehr. Dass ich es zugelassen habe. Aber ich bin dir auch dankbar. Dankbar für diese Grausamkeiten. Dankbar für die Definition. Nur die letzte Grausamkeit hat alles übertroffen. Glaubst du es hat mich gebrochen? Glaubst du, dass du gewonnen hast? Oder fürchtest du diese Nacht? Fürchtest du, dass ich gleiches mit gleichem vergelte? Wenn du das wirklich glaubst, dann mach dich auf etwas viel schlimmeres gefasst. Wenn du das nicht glaubst, dann verhöhne ich dich für deine Naivität. Aber es ist egal. Alles ist besiegelt. Die Rache sei mein. Ich warte auf deinen nächsten Zug. Mein Zug ist geplant. Nichts kann mich noch aufhalten. Nichts. Der nächste Zug muss nur noch exekutiert werden. Die Rache sei mein. Die Rache sei mein. Die Rache sei mein. Hahahaahahahaha...-
Wer klopft da an der Türe?
-Herr Krüger?-
-Maria, sie sind noch da?-
-Herr Krüger ist alles in Ordnung bei ihnen?-
-Sie können jetzt gehen, Maria.-
-Aber Herr Krüger...-
-Maria, sie können jetzt gehen.-
-Herr Krüger...-
-Ich habe mich klar genug ausgedrückt. Sagen sie Sergej er soll sie nach Hause bringen und dann soll er selber nach Hause fahren. Ich wünsche ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest. Kommen sie bitte erst am 28. wieder.-
-Haben sie denn....?-
-Maria machen sie sich bitte um mich keine Sorgen. Ich habe alles was ich brauche. Es ist alles in die Wege geleitet.-
-Aber was werden sie denn heute Abend essen?-
-Ich habe Uwe beauftragt mir heute Abend ein Mahl zuzubereiten. Er wird es vom Restaurant bringen. So wie jedes Jahr.-
-Der Schwan?-
-Der Schwan.-
-Herr Krüger, ich hätte doch...-
-Nichts kann diese Tradition brechen. Nichts.-
-Sehr wohl, Herr Krüger.-
-Maria, sie haben eine Familie, kümmern sie sich um sie. Sie haben noch eine Familie. Im Gegensatz zu mir. Genießen sie ihre Tage. Ihr Jahr war anstrengend genug. Warten sie. Ich habe noch eine kleine Aufmerksamkeit. Einen Moment bitte.-
-Aber Herr Krüger.-
-Moment, bitte.-
Wo habe ich denn den Umschlag hingetan? Ich bin so zerstreut die letzten Tage.
-Ach hier ist er ja. Maria. Ihnen und ihrer Familie ein gesegnetes Weihnachtsfest und dann sehen wir uns am Morgen des 28. wieder. Es reicht wenn sie um 10 Uhr kommen.-
-Herr Krüger, gibt es denn wirklich nichts, was ich für sie...?-
-Sie können nur gehen. Danke. Genießen sie die Tage.-
-Herr Krüger...-
-Maria, weinen sie bitte nicht. Weinen sie doch bitte nicht.-
-Herr Krüger, es ist nur so...-
-Weinen sie nicht um die Vergangenheit, wir haben noch immer die Zukunft. Und jetzt gehen sie bitte.-
-Vielen Dank, der werte Herr.-
Eine Träne in meinem Auge. Aber ich kann nicht mehr weinen. Ich kann nicht vor Maria weinen. Ich dachte alle Tränen sind verweint. Endlich geht sie. Maria ist so liebenswert. Aber manchmal begreift sie es nicht. Sie ist eine so treue Seele. Beinahe zu treu. Eine Treue die sie schon fast dumm macht. Eine Liebe die sie erblindet. So wie alle Liebenden. Ich bemitleide sie alle. Oder waren es nur die 2000 Franken in dem Umschlag auf die sie gewartet hat? Ist es die Liebe für das Geld? Sind wir nicht alle gleich? Oder vielleicht bin ich nur die dumme, treue Seele? Was soll es. Vielleicht sind wir alle nur dumm und treu. Vielleicht sind Francois und ich auch nur dumm und treu einander. Vielleicht... Unsinn. Francois und meine Feindschaft ist das edelste und ehrlichste was wir je besitzen konnten. Francois, ich bin dir so dankbar. Du hast mich letztes Jahr so reich beschenkt, in dem du mir alles genommen hast. Nur der verbitterte Hass ist geblieben. Du hast in stärker gemacht. Aus den Flammen der Vergeltung, schau da wird ein Phoenix emporsteigen. Warte nur, was ich für dich vorbereitet habe, dieses Weihnachtsfest. Hahahahahahahahahahahaha...-
Da unten ist Maria und Sergej. Maria steigt ein. Endlich. Sergej schaut noch einmal hoch. Er schaut noch einmal hoch in meine Augen. Um sich zu vergewissern. Aber er weiß, dass ich es ernst meinte. Sein Blick. Ich weiß, dass  er mich begriffen hat. Wie viel ein einfacher Blick doch sagen kann. Ein Schwur, eine Verpflichtung, eine Demut, ein Wille, die Kraft, die Unterworfenheit, eine dunkle Hochzeit. Zwischen ihm und mir. Ein Versprechen. Mehr als eine Arbeit. Eine Aufgabe. Ein Verlangen. Oh Francois, unsere morbide Lust war schon immer unser wertvollster Besitz. Gleiches mit gleichem zu besiegeln. Und noch mehr. Die Balance des Schmerzes wieder herzustellen. Francois entweder zu brechen oder in Zugzwang zu bringen. Aber was will er mir denn noch nehmen? Wenn der Plan aufgeht, wovon ich fest überzeugt bin, dann kann ich nur siegen. Sergej wird mir diesen Triumph bringen. Aber wird es mein Endsieg sein? Wird dann alles enden? Oder kann nur unser Tod das Ende sein? Da fährt Sergej langsam den Wagen die lange verschneite Einfahrt hinunter. Vielleicht sollte ich das Fenster öffnen. Ja ich werde es öffnen. Wie schön der Neuschnee doch unter den Reifen knirscht. Wie schön der Motor sich doch anhört und wie schön der Schnee den Rest des Lärms verschluckt. Welche Grazie. Die Präzision von Maschine und Natur. Im Einklang des Schicksals.  Der Winter ist meine Lieblingszeit. Vielleicht auch weil ich im Winter geboren wurde. Vielleicht ist es das. Und dort verschwinden die beiden nun hinter der Kurve. Auch wenn ich der reichste Mann des Genfer Sees bin, auch dann kann mir das Geld keine Liebe kaufen. Das Leben eines Großindustriellen ist so einsam. Oder war ich schon immer einsam? Und hat mich mein Schicksal an diesen Ort gebracht? War alles immer besiegelt? Es war anders als Karin und Norbert junior noch hier waren. Aber haben wir uns nicht schon immer betrogen? Ist Betrug nicht die Grundlage der menschlichen Beziehungen? Aber das ist vorbei. Das erste Weihnachtsfest alleine. Ich kann alles haben, was sich ein Mann kaufen kann. Aber Liebe, Liebe die gibt es nicht zu kaufen. Mein Leben ist nun so leer. Francois hat mir alles genommen. Nur unsere Feindschaft nicht. Könnte er mir denn das auch nehmen? Das wäre die schrecklichste seiner Taten. Oder könnte ich es ihm nehmen? Aber es ist zu spät. Sergej ist schon bestellt. Ich kann und will es nicht mehr rückgängig machen. Vielleicht hätte ich... aber es ist zu spät. Da hinten war Sergej doch noch mal zu sehen, es waren die Rückleuchten. Und wie majestätisch der Genfer See doch von hier oben aussieht. Der kalte Wind treibt die zärtlichen Schneeflocken umher, bis sie lustvoll in dem leicht gekräuselten Wasser verenden. Eis wird zu Wasser wird zu nichts. Ein Kristall wird zu nichts. So wie wir alle. Es geht doch nur um den Flug, wie konzentriert man ist und wie lustvoll man zu nichts verendet. Der Neuschnee hat alles weiß getauft. Ich bin so dankbar für diesen Anblick. Eine neue Unschuld die wir nun betrügen  müssen. Es klingelt an der Pforte. Wer kann das sein? Ob es schon Uwe ist?
-Ja?-
-Herr Krüger. Ich bin es Pierre.-
-Ach Pierre, ich hätte sie fast vergessen. Kommen sie doch.-
Ach Pierre, der gute alte Pierre, ein Mann dessen Loyalität nie erlöschen wird. Seit all den Jahren kommt er.
-Guten Abend Herr Krüger. Es ist wieder Weihnacht und ich dachte, dass wir an unserer Tradition festhalten, auch wenn dieses Jahr...-
-Sehr wohl, Pierre. So soll es sein. Sehr wohl. Kann ich ihnen etwas anbieten?-
-Herr Krüger, ich bitte sie...-
-Ich habe hier einen ganz vorzüglichen Cognac.-
-Herr Krüger. Ich habe das Trinken drangegeben.-
-Bitte was?-
-Drangeben müssen. Der Doktor hat es mir verboten. Sie erinnern sich. Herr Doktor Müller, zu dem sie mich geschickt haben.-
-Der Herr Doktor Müller, er wird ein Glas Cognac zu diesem besonderen Anlass entschuldigen.-
-Wenn sie meinen Herr Krüger. Ich will ihnen aber auch nicht zur Last...-
-Wovon reden sie Pierre, welche Last? Seit all den Jahren, wie sie kommen und immer an uns gedacht haben. Ich fürchte, dass ich ihnen eine Last bin.-
-Herr Krüger ich bitte sie.-
-Moment, Pierre, ich möchte ihr Glas nur kurz anwärmen. Der Cognac kann auf Zimmertemperatur nicht voll zur Geltung kommen.-
-Trinken sie denn nicht mit?-
-Pierre, entschuldigen sie bitte die Unhöflichkeit, aber ich möchte diese Nacht nüchtern bleiben.-
-Sehr wohl.-
-Ich wusste nicht, dass sie gesundheitliche Beschwerden haben, Pierre.-
-Herr Krüger, in meinem Alter spricht man nicht mehr von den Wehwehchen die man hat. Mein alter Körper muss zur Ruhe kommen. Meine Frau und ich denken darüber nach wieder zurück in die Berge zu gehen.-
-Werden wir uns nächstes Jahr denn wieder sehen, Pierre?-
-Herr Krüger, selbstverständlich werden wir uns wiedersehen. Nichts kann unsere Tradition brechen. Auch nicht die Distanz oder Krankheit. Aber es ist Zeit, dass wir unsere Wohnung hier aufgeben. Die Miete...-
-Wenn es nur daran liegt, Pierre. Warum haben sie nie etwas gesagt. Für finanzielle Unterstützung, da war ich mir noch nie zu schade. Und das wissen sie gut genug.-
-Darum geht es nicht, Herr Krüger. Es ist auch so, dass die Bergluft mir besser bekommt. Wir müssen uns auch zurückziehen aus dem Trubel der Stadt. Es ist mir mittlerweile alles zu viel. Das Engagement mit der Philharmonie hat geendet..-
-Es hat geendet. Wer hatte die Frechheit? Moment ich werde sofort Jean Luc anrufen.-
-Lassen sie bitte. Es war meine Entscheidung.-
-Sie können nicht ohne die Philharmonie leben. Und die Philharmonie kann nicht ohne sie leben.-
-Wir müssen es lernen.-
-Pierre, wie konnten sie nur? Musik ist ihr Leben. Ohne Musik sind sie niemand mehr.-
-Herr Krüger, jede Liebe bricht irgendwann entzwei. Es war an der Zeit au revoir zu sagen. Wir hatten ein so wundervolles Leben. Aber es ist Zeit für mich. Ich muss mich zurückziehen. Der Herr Doktor hat es mir geraten.-
-Nach den Feiertagen werde ich ihn anrufen und fragen was man für sie tun kann.-
-Man kann nichts mehr für mich tun. Herr Krüger ich bin ein alter Mann, der sein Leben gelebt hat.-
-Dann trinken sie bitte diesen exzellenten Cognac. Auf ein wundervolles Leben, auf ein Leben, welches nur der Musik gewidmet war. Der beste Geiger den die Welt je gesehen hat. Ich wünschte ich wäre fähig nur annähernd so gut wie sie zu spielen. Ein gottgegebene Gabe. Trinken sie auf den Moment jetzt. Dass der Zufall uns damals zusammen gebracht hat und dass wir jetzt hier beieinander sein dürfen.-
-Der Cognac, er ist wirklich ausgezeichnet.-
-Wollen sie denn noch einen haben?-
-Herr Krüger, ich darf wirklich nicht.-
-Dann darf ich sie bitten sich noch ein wenig im Salon auszuruhen. Uwe wird jeden Moment kommen. Wir halten es für 19 Uhr wie üblich, wenn sie nichts dagegen haben, Pierre.-
-Es ist ihr Haus. Ich stehe in ihrer Schuld.-
-Lassen wir das. Ruhen sie sich ein wenig aus. Sie kennen sich aus. Bedienen sie sich bitte. Fühlen sie sich wie zu Hause. Auf dem Tisch stehen ganz vorzügliche Kekse aus Florenz.-
Das Telefon klingelt? Wer kann das sein? Ob es Karin ist? Sie würde es nicht wagen. Ob es Norbert Junior ist? Ich glaube es nicht. Ob es Francois ist. Wer weiß. Ich werde nicht abnehmen. Dieses Mysterium wird mir den Abend versüßen. Wenn es wichtig ist, dann ruft die Person wieder an. Es klingelt erneut. Aber diesmal an der Türe. Das muss Uwe sein. Mein Gott. Es ist schon kurz nach 6. Er ist spät dran. Vielleicht werde ich ihm kündigen. Ich dulde diese Disziplinlosigkeit nicht. Oder sollte ich noch einmal Güte walten lassen? Wer weiß. Vielleicht gibt es einen Grund. Dennoch. Zu spät ist zu spät.
-Ja, bitte?-
-Herr Krüger. Uwe hier-
-Es wird auch Zeit.-
-Herr Krüger machen sie sich keine Sorgen.-
Keine Sorgen machen, keine Sorgen machen. Es ist immer dasselbe mit diesen Köchen. Nie soll man sich Sorgen machen. Alles ist immer im Griff. Das ist auch so ein Schlag von Mensch. Ich weiß es nicht. Man kann sie nicht ändern.
-Guten Abend Herr Krüger.-
-Guten Abend Uwe. Sie sind spät dran.-
-So leid es mir tut. Aber der Schwan wurde so spät geliefert. Und ich konnte ihn nicht heißer garen, damit die Saftigkeit...-
-Ich will es nicht wissen. Erklärungen interessieren mich nicht, dass müssten sie mittlerweile wissen. Fakt ist, dass sie spät sind und ich habe darüber nachgedacht sie fristlos zu kündigen.-
-Herr Krüger, ich bitte sie. Ich habe eine Frau und zwei Kinder. Ich habe eine Hypothek.-
-Es interessiert mich nicht. Jeder ist für sich verantwortlich. Jeder ist seines Glückes Schmied.-
-Herr Krüger.-
-Seien sie bitte still und bringen sie das Essen rein.-
-Jungens, kommt macht voran. Worauf wartet ihr?
Ach hat er diesmal seine Lehrlinge mitgebracht? Die sind auf Zack. Das gefällt mir.
-Jungens hier lang, macht voran.-
-Oui, chef.-
Oh, diese Disziplin. Es gibt sie ja doch noch bei den jungen Menschen. Diese Ehrfurcht. Diese wundervolle Ehrfurcht in ihren Augen.
-Was haben sie denn wundervolles gezaubert, Uwe?-
-Genau das wie sie es verlangt haben. Wie jedes Jahr. Keine Veränderung.-
-Hervorragend.-
-Schicken sie dann Margaret zu mir morgen hoch, damit sie abräumen kann.-
-Aber ich habe doch unseren Oberkellner Mauro...-
-Uwe, ich will Mauro hier nicht sehen. Auch wenn er sich Mühe gibt, aber Italiener habe ich noch nie gemocht. Bei denen muss man immer vorsichtig sein. Mit dem Temperament und allem. Mauro soll zu Hause bleiben. Margaret soll morgen vor der Mittagszeit vorbeikommen.-
-Sehr wohl, der Herr.-
-War es das dann, Uwe?-
-Wenn es das von ihrer Seite war.-
-Uwe, hier eine kleine Aufmerksamkeit an sie.-
-Aber Herr Krüger. Das kann ich unmöglich...-
-Sie wissen was das ist?-
-Sicher weiß ich was das ist. Das ist ein Original Oishi, 74mal gefalteter Stahl, ein extrem seltenes Exemplar. Wenn ich richtig informiert bin, dann ist dieses Meisterwerk schon 20 Jahre vergriffen.-
-Ich weiß es ist bei ihnen in guten Händen. Ich selber benutze es nicht mehr. Ich habe das Kochen drangegeben. Seit letztem Jahr...-
-Herr Krüger, sie waren doch so ein wundervoller Koch. Lassen sie diese Flamme der Leidenschaft...-
-Uwe, ich verbiete ihnen mit mir über so etwas zu reden. Meine Entscheidung ist meine Entscheidung.-
-Sehr wohl der Herr.-
-Wo sind die beiden Jungens?-
-Wieder am Auto.-
-Holen sie sie nochmal rein.-
-Jungens, kommt nochmal rein.-
Oh, diese Ehrfurcht. Diese Unschuld dieser zwei Jünglinge. Die Demut vor Macht. Und der Wille dorthin emporzusteigen. Aus dem Nichts. Aus dem Schoße einer Mutter die Furcht der Untergebenen zu betrachten. All das in ihren Augen. Diese Unschuld. Diese Schüchternheit. Diese Disziplin. Aber auch der Wille alles für Geld zu tun. So wie es bei mir damals war. Wie wundervoll die Jugend. Und wie nichtsahnend sie doch sind. Vielleicht ist das die ewige Schönheit.
-Kauft euren Eltern etwas schönes, wenn ihr euch auf den Weg nach Hause heute macht.-
-Vielen Dank der Herr.-
Und wie sie sich mit gesenktem Blick nun abwenden. Welche Freude. Es ist mehr Geld als sie im Monat verdienen. Und wie unbedeutend doch Geld für mich nun ist. Wenn man kein Geld hat, wie wichtig es für einen ist, und wenn man es hat, dann wirkt das alles wie eine himmlische Komödie. Wie wundervoll und absurd unser Leben doch ist.
-Uwe, vielen Dank wieder einmal.-
-Keine Ursache. Sie verzeihen mir doch meine Unpünktlichkeit, oder?-
-Ich werde darüber nachdenken müssen. Gehen sie nun und genießen sie das Weihnachtsfest.-
-Herr Krüger, das Restaurant hat doch die Feiertage über offen.-
-Achso das hätte ich fast ganz vergessen. Was ist denn gebucht?-
-Voll wie üblich.-
-Dann will ich sie nicht von der Arbeit abhalten.-
-Vielen Dank Herr Krüger, ihnen dann noch ein gesegnetes Weihnachtsfest.-
-Ihnen und der Familie dasselbe. Und versprechen sie mir nie wieder zu spät zu kommen.-
-Ich verspreche es ihnen.-
Es ist eigenartig, wie sehr die Menschen doch in ihrem finanziellen Trott gefangen sind. Ich glaube nicht an Uwes Loyalität. Er sagt nur Ja und Amen wegen seiner Familie und der Hypothek. Es ist so lachhaft. Wessen Intention ist noch pur? Die Welt ist verrottet. Nichts existiert noch grundlos. Nur Francois und meine Feindschaft ist grundlos. Und das schenkt ihr den Grund. Das macht uns zu Freunden. Zu wirklichen Freunden. Weil wir immer an einander denken. Wie wundervoll das Sinnlose in der heutigen Welt ist. In einer Welt in der alles etwas sein muss. Alles erklärt werden muss, alles einen Grund haben muss, alles einen Wert haben muss. Und wie sehr wir den Luxus verloren haben etwas scheinbar nutzloses genießen zu können. Oh es ist schon kurz vor 7. Zeit in mein Beobachtungssaal zu gehen.
-Pierre?-
Er hat mich nicht gehört.
-Pierre? Kommen sie doch bitte mal.
-Ja bitte?-
-19 Uhr. Wenn die Glocken geschlagen haben, dann beginnen sie bitte die Zeremonie.-
-Jawohl.-
-Ich werde mich für eine Weile in mein Arbeitszimmer zurückziehen müssen. Fangen sie bitte ohne meine Anwesenheit an zu spielen. Ich werde sie auch von oben hören können.-
-Sehr wohl, Herr Krüger, ganz wie sie wünschen.-
Es ist Zeit. Ein Zittern hat mich befallen. Ein Zittern der Erwartung. Ein Zittern der Angst. Hat Sergej triumphiert? Werden die Nachrichten am 27. in der Zeitung stehen? Werden sie mich verdächtigen? Vielleicht wäre es besser Sergej zu entlassen. Ihn gehen zu lassen. Irgendwohin, wo keiner nach ihm fragt. Mit einer Summe, die ihn für immer schweigen lässt. Auch wenn das Komissariat sich nicht einmischt. Aber es kann nichts mehr geleugnet werden. Und siehe da. Kann ich die Flammen sehen oder bilde ich es mir ein? Nein tatsächlich. Durch das Fernrohr kann ich es flackern sehen. Francois. Jetzt musst du dir einen neuen Schachzug ausdenken. Francois, diese lachhafte Kopie meines Hauses auf der anderen Seite des Sees. Was hast du dir gedacht? Das weiße und schwarze Taj Mahal? War es das? Eine einfache Kopie? Eine Herausforderung? Deine Verachtung? Du weißt noch nichts. Jetzt wo du in dem Chalet in Interlaken bist, mit deiner Muse. Wozu brauchtest du Karin und Norbert Junior? Es war nur ein Diebstahl. Du hast sie nie gebraucht. Du wolltest mich nur verhöhnenUnd jetzt, jetzt nehme ich dir deinen kostbarsten Diebstahl. Und alles flackert lichterloh. Wer ruft denn schon wieder an? Wer stört mich in dieser Ruhe? Vielleicht wäre es besser wenn ich das Telefon abmelden lasse. Und wer lässt es so oft klingeln? Die Flammen, sie verrichten ihr Werk. Sergej, dein Weihnachtsgeschenk ist das schönste. Und die Flammen verzehren nun alles. Selbst der Marmor bricht. Die Scheiben zerbersten. Karin, es ist besser so. Die Schuld die du uns gebracht hast, an dem Tag als du gegangen bist. Über uns, über Norbert Junior. Über dich und über mich. Wie sie sich alle die Mäuler zerrissen haben.
-Hahahahahahahaha.-
Und ich nehm mir alles wieder zurück. Es ist 19 Uhr. Die Glocken haben geläutet. Pierre spielt schon. Oh wie wundervoll. Im teuflischen Glanz, im Schimmer der Flammen. Mein Ebenbild verglüht. Und diese himmlische Musik von unten. Es ist Zeit essen zu gehen. Langsam gehe ich hinunter. Langsam. Alles ist genau zu beobachten. Alles ist zu fühlen. Jeder Atemzug. Jeder Schritt. Diese kostbare Zeit. Alles ist zu genießen. Das Bewusstsein ist zu sensibilisieren. Totale Konzentration. Oh, diese Musik. Und der Geruch des Schwans. Ich werde nichts anderes anfassen. Nur den Schwan. Es ist egal, was noch da ist. Ich will nur dieses pure Fleisch des Schwanes. Langsam gehe ich hinab. Der Geruch, die Musik, dieses Flackern in meinem Herzen. In dieser Melancholie schwimmen ohne zu ertrinken. Oh, wie wundervoll Pierre spielt. Und der Hall in dem Saal. Wie wundervoll. Ich bin ein Mann. Vollstens verantwortlich. Bei vollstem Bewusstsein. Der Genuß des Triumphes. Der Genuß der absoluten Zerstörung. Der Genuß etwas Edlem. Ich bin der Überbringer. Dieses Gemälde es erinnert mich an uns. Dieses Gemälde von der Schlacht in Byzanz. Das Blut fließt. Weil es das muss. Wir sind einander bestimmt. Mehr als alles andere. Francois. Isst du jetzt auch Schwan? Wer war vorher da? Ich oder du? Kopierst du mich oder ich dich? Oder wir uns einander.
-Pierre, spielen sie nur.-
Der Schwan. Ein weiteres Meisterwerk von Uwe. Ich kann ihn unmöglich feuern. Dieses zarte, dennoch zähe Fleisch. Dieses Aroma. Ist es möglich? Kann es möglich sein, dass ich den Qualm rieche? Das brennende Haus von Francois? Kann es sein, dass der Qualm so weit dringt? In meine Nase, in meine Seele?

-Norbert. Norbert.-
-Was?-
-Norbert, tickst du noch sauber?-
-Was, was ist passiert? Karin was ist hier los?-
Warum schlägt die mich denn?-
-Hast du noch alle Tassen im Schrank, warum schlägst du mich?-
-Beate, heiß ich. Und wer ist Karin. Wer verdammt nochmal ist Karin?-
-Hab ich Karin gesagt, Karin, äh Beate?-
-Ich will jetzt wissen wer Karin ist.-
-Keine Ahnung wer Karin ist, aso ja, die Frau in dem Traum.-
-Du träumst von einer Karin? Das ist ja schön. Habt ihr denn auch gefickt.-
-Quatsch. Was ist das hier für ein Qualm überhaupt?-
-Du bist eingepennt und du hast die Weihnachtsgans verkohlen lassen.-
-Was, das kann doch nicht wahr..-
-Ja, sicher kann das wahr sein. Guck dir die Scheiße mal an.-
-Das kann doch wirklich nicht...-
-Du hast mich gebeten dir eine zweite Chance zu geben, das hab ich getan. Und die hast du versaut. Ich kann nichtmal aus dem Haus und mir die Nägel machen lassen für die Feiertage.-
-Aber...-
-Nichts aber, Norbert. -
-Die ist nur kross... äh...-
-Die ist nicht kross, die ist total verbrannt. Und der Rotkohl, scheiße, den hast du ja auch anbrennen lassen.-
-Aber...-
-Nein. Weihnachten fällt dieses Jahr ins Wasser. Die Geschäfte haben bereits zu. Du bekommst nur noch an Tankstellen etwas. Dann müssen wir zum Guido und zur Michelle. Die hat die Knusperente vom Kaufland, hier die mit den Pfannkuchen und der Hoisin Soße.-
-Nein wirklich nicht. Nicht zur Michelle und nicht die Knusperente.-
-Überleg es dir. Ich geh zu denen hin. Du kannst ja hier bleiben. Aber ich weiß nicht was du wirklich essen kannst. Oder, ne ich weiß, du kannst ja mal die krosse Gans versuchen. Und zu allem Übel...-
Wer ruft denn jetzt noch auf dem Betriebshandy an?
-Moment mal Beate, halt doch mal den Schnabel.-
-Ja, Herr Direktor.-
-... .-
-Das ist nicht möglich.-
-... .-
-Das kann nicht sein.-
-... .-
-Rohrbruch im Keller.-
-... .-
-Die haben wir doch vergangene Woche...-
-... .-
-Materialfehler, würde ich dann...-
-... .-
-Wie Gutachter?-
-... .-
-Wie können sie denn einen Gutachter anrufen, wenn ich noch gar nicht...-
-... .-
-Ja sicher war ich am Handy. Hier hat keiner angerufen.-
-... .-
-Die ganze Zeit.-
-... .-
-Sofort Herr Direktor.-
-... .-
-Ich fliege. 10 Minuten max.-
-Was ist denn da wieder los, Norbert?-
-Ich muss zur Arbeit, da ist ein Rohrbruch, ich weiß nicht wie lange das dauert.-
-Und dann am Feiertag. Typisch. Wenn das Arschloch anruft, dann springst du.-
-Tut mir leid. Ich muss da jetzt hin. Arbeit geht vor. Ich hab ja schon die zweite Verwarnung bekommen. Ich glaub die wollen mich wippen. Ich muss da jetzt hin.-
-Tu was du tun musst. Ich fahr gleich zum Guido und zur Michelle.. Wenn du früh genug fertig bist, dann komm da noch hin. Oder du musst Butterbrote hier essen. Frohe Weihnachten.-
-Aber Beate.-
-Nichts Beate.-
-Aber Beate.-
-Frohe Weihnachten hab ich gesagt.-
-Die Rache sei mein.-
-Was hast du da gerade gesagt?-
-Ich? Ich hab nichts gesagt, Beate.-
-Du hast doch gerade da was gesagt.-
-Frohe Weihnachten hab ich gesagt.-
-Ja, frohe Weihnachten. Und das kannst du auch deiner Karin ausrichten.-